blog um blog um blog, siehe auch literaturgeflüster von eva jancak

2011-12-09

Tanz in den Mai

Einsortiert unter: Uncategorized — jancak @ 00:00

Jetzt kommt kein Weihnachtsbuch, obwohl Rudolf Lasselsberger „Tanz in den Mai“, gut zu dem vorher besprochenen „Stellenweise Glatteis“ passt, versteht sich der, 1956 in Schlatten, NÖ geborene, doch als Vertreter der Literatur der Arbeitswelt und ich habe ihn auch kennengelernt, als ich 1987 zu der Schreibwerkstatt des Max von der Grün-Preises eingeladen wurde, da hat er, glaube ich, gewonnen und war in diesem Jahr auch Stadtschreiber von Linz und das Jahr 1987 passt auch ganz gut, spielt „Tanz in den Mai“ doch Ende April Anfang Mai 1986 in Niederösterreich, südlich der Donau und ist soetwas wie ein Alltagsroman.
Gewidmet ist er, der in diesem Jänner verstorbenen Nichte Rudi Lasselsbergers, die mir glaube ich, einmal kommentierte und die Personen, die in dem Buch vorkommen, haben, wie sich leicht erkennen läßt, bzw. Rudi Lasselsberger bei seiner Lesung am 9. November in der Alten Schmiede, die man auf seinen Blog per Video nachhören kann, sagte, auch unschwer als die Lasselsbergerische Familie erkennen und, daß der Franz, das Vorbild für den Rudi ist, habe ich schon auf Seite Fünf bei der Seite mit der Überschrift „Wien“, „Franz geht ins „Künstlerhaus“ zu einer Diskussion im Rahmen von „Literatur im März“, erkannt.
Aber Georg, Karin, Gerti, Franz u.a kommen nur als Nebenpersonen vor, die Hauptpersonen sind Sabine 5, Andrea 29, Lehrerin, Elfriede, 48, Putzfrau und Anna, 76, Pensionistin, lauter starke Frauen halt, die da in Niederösterreich in „Fuchs“ „Zett“ und „Schlacken“, wahrscheinlich fiktive oder leicht veränderte Ortsnamen, wohnen, beziehungsweise den Alltag miteinander verbringen.
Den Alltag Ende April bis Anfang Mai 1986. Was war da los? Richtig, Rudi Lasselsberger genaue Aufzeichnungen der damaligen Rundfunk und Fernsehnachrichten bringen uns sofort hinein in die Geschichte der Zeit vor fünfundzwanzig Jahren. Da war Rudolf Kirchschläger noch Bundespräsdident, zur Wahl trat aber Kurt Waldheim an und in Tschernobyl hat es die Atomkatastrophe gegeben und das alles bekommen, die Lehrerin Andrea, die mit ihrem Mann Georg und der fünfjährigen Sabine in einem Försterhäuschen lebt, die Großmutter Anna, die von Vroni versorgt wird und Elfriede, Mutter von Franz und Andrea durch die Nachrichten im Fernsehen und Radio mit, während sie ihr Alltagsleben leben. Georg ist Musiker und fährt öfter mit seiner Band nach Wien zum Spielen, sonst verlegt er Fliesen in dem Haus und es gibt auch Spannungen zwischen ihm und Andrea, beziehunsweise Streitereien, wer von den beiden Sabine in den Kindergarten bringen soll? Sabine ist das aufgewckte Mausi, das den Lulli nicht aus dem Mund nimmt, wenn es mit der Großmutter spricht und beim Radfahren ins Salzstangerl beißt, sodaß es zu einem Umfaller kommt. Andrea muß nach Melk zu einer Tagung und verschaut sich da ein bisschen in ihren Kollegen Martin. Großmutter Anna macht Gurkensalat zum Abendessen, weil sie als Diabetikerin das fette Gselchte nicht mehr essen darf und schaut aus dem Fenster in den Nachbargarten, wo die Vroni und Lois wohnen, Mutter Elfriede ist Bedienerin in einer Stofffabrik, obwohl sie eigentlich Schneiderin werden wollte, aber dafür war kein Geld da, so ist sie stolz auf ihre beiden Kinder und Franz, Andrea, Georg und Karin, eine Kollegin Andreas gehen auch öfter zusammen ins Wirtshaus, wo Franz „Drei Obstler bestellt, denn Obst ist gesund!“
Von solchen Scherzen lebt das Buch, das wieder, diesmal nicht mit der Hand, in der berühmten Lasselsbergerischen Alltagssprache geschrieben ist. Es kommt da zu ganzen Dialogen, zwischen Mutter, bzw. Großmutter und Kind.
Köstlich der Dialog zwischen Elfriede und Sabine während des Fernsehschauens. Da wird der einundachtzigjährige Schriftsteller und Nobelpreisträger Elias Canetti vom Bürgermeister Zilk interviewt, der in seinem „schnorchelnden Hochdeutschwienerisch“, erzählt, daß Canetti der erste Schriftsteller ist, der in diesem Jahrhundert Ehrenbürger der Stadt Wien wurde, während Sabine ein Cola haben will und fragt, ob die Oma auch einmal so weiße Haare, wie der Nobelpreisträger bekommen wird? Damit ist sie nicht einverstanden, so läßt sie ihre Oma sämtliche Haarfarben von kastanienbraun bis blau aufzählen, währenddessen kommen die Nachrichten zum Präsidentschaftskanditaten W., der Sabine nicht gefällt.
Köstlich und interessant, das Alltagsleben einer Familie in Niederösterreich, wo gebaut, gekauft, gekocht und gesoffen wird, während draußen das Leben abläuft, das wir vielleicht für wichtiger, literarischer und interessanter halten.
So könnte man zu den Lasselsberger Roman vielleicht dasselbe sagen, was auch meinen Texten, die ich ja auch sehr gerne den Alltag mit Radiomeldungen montiere, vorwerfen kann, daß nichts Wichtiges passiert und es keine richtige Handlung hat, mir aber sehr sympathisch ist, weil ich mir bei all den spannenden Bachmannpreisromanen, die die unglaublichsten Wendungen in ihren Plot einbauen, nur damit den Lesern nicht langweilig wird und sie das Buch nicht emport wegschmeißen, ohnehin nicht recht geheuer ist, weil das, was man dann lesen kann, mit der Wirklichlichkeit oft nichts mehr zu tun hat.
Aber doch, wird mir Rudolf Lasselsberger hoffentlich gleich widersprechen, denn das Wichtige ist ja der Alltag, das Zubereiten des Gurkensalates, das Füttern der Katzen und das Beobachten des Löwenzahns, weil man den Nachrichten, ob das Trinken der Milch und des Wassers und das Spielen der Kinder im Freien jetzt gefährlich ist oder nicht, wie wir, die wir April und Mai 1986 erlebt haben, aus Erfahrung wissen, ohnehin nicht trauen kann.
Seit dieser Zeit hat Rudolf Lasselsberger an dem Text gearbeitet und genaue Aufzeichnungen darüber gemacht, wie er bei der Lesung in der Alten Schmiede erzählte und hinzufügte, daß seine Großmutter, als er ihr sagte, daß er über sie schreiben will, meinte, er solle sich lieber mit der Kultur beschäftigen, weil die wichtiger wäre, aber der Alltag ist das, wie Rudolf Lasselsberger mit Recht betonte, auch.
Also ein sehr realistischer Roman eines Autors, der sich als experimentell versteht und deshalb bei seinen Lesungen immer sein Leiberl wechselt, dem Publikum seinen nackten Bauch darbietet und mit Mozartkugeln oder Nüssen in die Menge schießt und die erste Auflage seines zweiten Romans, den ich mit ihm bei meiner Frauenlesung im März im Amerlinghaus tauschte, auch selbst gemacht hat. In einer fünfzig Stück Auflage und einer ISBN Nummer die das Geburtsdatum von Rudi Lasselsberger ist, ja der Autor ist sehr originell. Inzwischen scheint es aber eine zweite Auflage im selbstgegründeten Verlag mit richtiger ISBN-Nummer zu geben und eine Rezension von Ilse Kilic, die sowohl im Literaturhaus-Archiv als auch im neuen Kolik erschienen ist, gibt es auch.
Ja und bei meiner „Alltagslesung“ am 28. 5. 2011 im Amerlinghaus und bei meiner letzten Geburtstagslesung war der Rudi Lasselsberger auch.
Und jetzt noch ein trauriger Nachtrag, Werner Kofler ist, wie ich den Nachrichten entnahm und auch bei den Suchanfragen merken konnte, gestorben, der ja vielleicht auch ganz gut zum Schreiben von Rudi Lasselsberger passt.

4 Kommentare »

  1. liebe eva jancak, danke dir sehr herzlich für deine aufmerksame, einfühlsame und (mich auf alle fälle) mitreißende besprechung. sehr leiwand finde ich auch, wie und daß du die querverweise einbaust, zb den kommentar von meiner nichte von damals beim burgtheater, über willi und ilses rezensi und die schmiede-lesung bis zu der geburtstagslesung bei dir.

    eine trauerminute für unseren kollegen werner kofler (zuletzt sah ich ihn bei einer kolik-feier), jetzt.

    lg rudi

    Kommentar von rudolf lasselsberger — 2011-12-09 @ 09:32 | Kommentar

  2. Ja, das ergibt eine ganz schöne Foto-Galerie, da du ja bei einigen meiner Lesungen warst und auch sehr fotogen bist und Fotos schickst du mir ja auch immer für meinen Blog und weil ich gern verlinke, befindet sich hier sozusagen ein Rudi-Lasselsberger-Archiv, alles in einem Artikel, also auch sehr interessant. Ein schönes Bild vom Volksstimmefest, wo du ja auch eifrig auftrittst, gibt es auch.

    Kommentar von jancak — 2011-12-09 @ 11:32 | Kommentar

  3. „Gewidmet ist er, der in diesem Jänner verstorbenen Nichte Rudi Lasselsberger…“

    liebe eva, diesen satz erlaube ich mir zu zitieren und zu kommentieren, weil er schön verdichtet, erfunden erfindet und wirklich ist, da ist sehr viel bis alles vorhanden quasi…
    wir sollen, müssen uns um unser eigenes leben kümmern und nicht nur um sie trauern, so oder so ähnlich sprach sie kurz vor ihrem tode…, was aber halt leider sehr sehr schwer fällt, uns allen, die wir sie kannten und kennen…, was mich betrifft, beginne ich ihre worte erst jetzt wirklich zu realisieren und zu verstehen, spüren, wie sehr mich ihr von uns gehen beschäftigt, beeinflußt hat und nach wie vor beeinflußt, bis hin zu meinen aktuellen blutwerten, wenn ich das so sagen darf, die mich zu einer gewissen ein- und umkehr oder soll ich sagen änderung drängen, anleiten, soll heißen, ich werde mich schön langsam wieder vom kugelfisch zu einer bachforelle, in einem bächlein helle, in dieser dunkelheit, die uns umgibt und umgibt und umgibt und aber halt, doch, ja, da vorne, ja, tatsächlich, ja, und auch wenn es „nur“ ein kerzenlicht ist, bitte ohne nur, ja, danke, martina, …

    liebe eva, bitte weiterhin solche sätze produzieren, ohne wenn und aber, dein flottes? (so hat es den anschein, der trügen kann, ja, aber, grundsätzlich: fehler gibts kan, ja, das ist ein schönes programm!!!) dahinschreiben, oft heimelig schludrig anmutend, ist mindestens goldes wert!!!

    herzlich dein
    (unterschrift)

    Kommentar von rudolf lasselsberger — 2011-12-09 @ 17:20 | Kommentar

  4. Fehler gibt es wahrscheinlich immer, aber zum Aufsichschauen kann ich natürlich raten, denn die Martina wird sich sicher an der Bachforelle freuen, wenn sie irgendwo oben oder unten sitzt und zusieht, wie die lustig springt und dichtet, weiter so, lieber Rudi und vielen Dank

    Kommentar von Eva Jancak — 2011-12-09 @ 23:08 | Kommentar

 

RSS-Feed für Kommentare zu diesem Artikel.TrackBack URI

Kommentar verfassen

Kommentar schreiben

Kommentare: 0