5. juli 2011, friedhof wieselburg

 

 

meine liebe nichte

martina bianca broswimmer

ist leider am montag, 10.01.2011,

in der früh,

im alter von 30 jahren, 

verstorben.

 

in trauer

dein rongl

 

 

 

 

 

 

 

       

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

WILLOLOGIE

 

oder

 

Mein Jahr mit Willi

 

 

 

Projektbescheibung

 

bzw einige Erläuterungen zur Willologie.

 

 

 

Willi und ich haben uns 2006 kennengelernt. Seitdem sind wir ein Herz und eine Seele. Eine Symbiose.

 

Symbiose (von griechisch σύν sýn ‚zusammen‘ sowie βίος bíos ‚Leben‘)[1] bezeichnet in Europa die Vergesellschaftung von Individuen unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist.

 

Eine Beziehung.

 

Beziehung bedeutet im alltäglichen Gebrauch grundsätzlich eine bestimmte Relation zwischen verschiedenen Objekten oder Individuen.

 

Eine 2-er-Beziehung. Wir haben einen Narren an uns gefressen. Eine Affenliebe, wie manche sagen.

 

Affenliebe ist eine umgangssprachliche Bezeichnung für eine „übertriebene“ Liebe, häufig von Eltern zu ihren Kindern.

 

Das Wort und die Redewendung wurden zumindest schon im 18. Jahrhundert verwendet, um eine übertrieben zärtliche und liebevolle Erziehung zu kennzeichnen, die in der damals vorherrschenden Meinung als unvernünftig galt. Die angeblich unangemessen zärtliche Haltung von Affenmüttern ihren Jungen gegenüber, die diese nahezu erdrücken und ablecken, wurde zum Sinnbild dieser Erziehungsweise.

 

Ja, das alles sind Willi und ich und umgekehrt.

 

Ach, Willi!

 

Wobei wir aber auch jeder für uns sind, jeder für sich ist, ohne den anderen. So wie es uns halt beliebt. Wir sehen das nicht so eng. Wir sind zwar zusammen, aber gleichzeitig auch nicht, also wir sind quasi gebunden und frei. Das eine geht nicht ohne das andere. Das ist ein schönes Paradoxon,

 

ist eine Aussage, die scheinbar[1] oder tatsächlich einen unauflösbaren Widerspruch enthält.

 

Das ist eine schöne Erkenntnis.

 

Es existiert keine einheitliche Definition des Begriffs Erkenntnis. In einer ersten Annäherung kann man Erkenntnis als den Prozess und das Ergebnis eines durch Einsicht oder Erfahrung gewonnenen Wissens bezeichnen.

 

Eine Art von Entwicklung beim Dahinwurschteln, beim Fortwurschteln, und das ist schön und uns nicht wurscht. Mir auf keinen Fall. Mir auch nicht. Unabhängig davon, dass MIR schon vor einiger Zeit von einer Seinswiese weise in eine andere gewechselt hat, ist, dabei in tausend Teile zerglühend, nämlich vom All ins Meer. Frei-schwebend im Meer und im All, Zeit und Ort sind ja relativ, gleichzeitig da wie dort sein, Willi und ich, ich und Willi, wo ein Willi ist, da ist ein Ich. Quasi.

 

Die Mir (russisch Мир ‚Frieden‘ oder ‚Welt‘) war eine von der Sowjetunion erbaute, bemannte Raumstation, die von 1986 bis zu ihrem kontrollierten Absturz 2001 die Erde umkreiste.

 

Die Mir war die erste auf einen dauerhaften und wissenschaftlichen Betrieb ausgelegte Raumstation.

 

Durch die Existenz des anderen sind wir frei. Viele sind wir, siehe Pablo Neruda. Ich könnte auch sagen: Zaum samma schtoak. Wir sind das Volk, um es ganz genau zu sagen.

 

Im Zug nach Bad Hall war es, da ist er auf einmal dagewesen. Ob da noch frei sei, na klar, wir haben uns angegrinst und alles war klar. Ich hab dann gleich angefangen zu notieren und in Bad Hall, wohin ich auf und zur Kur fuhr, ging es so weiter. Ich notierte, Willi diktierte und  umgekehrt.

 

Bad Hall ist eine Stadtgemeinde und Kurort mit 4796 Einwohnern in Oberösterreich im Bezirk Steyr-Land im Traunviertel. Der zuständige Gerichtsbezirk ist Steyr-Land. Wikipedia

 

Wir kamen uns sehr nahe, so nahe, dass wir zeitweise ineinander verschwanden und dann wieder aus uns auftauchten, gestärkt, voller Energie, der Stift flutschte nur so übers Papier, dass es eine Freude war.

 

Zuhause in Wien dann die Notizen in Reinschrift gebracht und beim fröhlichen Wohnzimmer abgegeben, die dann WILLI AUF KUR ans und ins Licht der Veröffentlichkeit verhalfen.

 

Als Band 1 der Willologie, als Pilot-Willi sozusagen.

 

10.04.2007 - Rudolf Lasselsberger, Willi auf Kur. Ein Bericht. Wien: Das Fröhliche Wohnzimmer 2007. 84 Seiten. EUR 10,50. ISBN 978-3-900956-85-1.

 

Denn die Arbeit ist gleich das Vergnügen ging dann unvermindert weiter, ein ganzes Jahr lang und darüber hinaus, es entstanden so an die, sagen wir 9, ja, vielleicht weil ich im September zur Welt kam, wie es so schön heißt, ja, das ist ein schönes literarisches Motiv, ja,

 

also ca 9 Bände zu je zirka 50 bis 70 Seiten, zuerst handgeschrieben - der Pilot-Willi ist ja zur Gänze dann handschriftlich erschienen - die anderen Bände sind großteils schon getippt und zur Ver-öffentlichung bereit.

 

zB im Eigenverlag:

 

Willi wo bist du, eine Spurensuche, loma, Wien 2012

 

Willi auf ein Wort, eine Retourkutsche, loma, Wien 2012

 

Beziehungsweise ist 2016 im Resistenz-Verlag das Omega der Willologie, WILLI IN O., erschienen - siehe Rezension im Anhang -, es fehlen aber noch einige Bände dazwischen, zB ist Band 8 gedacht als Willi du Kindskopf, eine Liebeserklärung, und Band 9 wird sich den Titel „Willi oh Willi“ nehmen, so wie es ausschaut, aber das kann sich noch ändern. Willi und die Mohnblumen, sind als Band 7 bei united pc erschienen worden, bestellbar: k.balog@united-pc.eu, was sehr schön ist. Ja, nickt Willi lächelnd.

 

 

 

„Willi auf Kur“ erwies sich als Pilot-Willi, da ich in dieser Art weiterschreiben musste, also hand-schriftlich korrespondierend mit der sogenannten „Schulschrift“ und ohne auf grammatikalisch-rechtschreiberische Vorgaben zu achten, verbunden auch zeitweise mit der Auflösung der Buchstaben, die direkt in eine Zeichnung sich verwandelten. Schrift-Zeichen, Wort-Zeichnung. Gedacht auch als Verneigung vor dem Erlernen  des geistig-handwerklichen Tuns, speziell im Erstlingswerk. Und als sichtbare, spürbare?, Grenzüberschreitung (dank Dada und Wiener Gruppe längst selbstverständlich?), ein bisschen zumindest, trotz allem eh im Text bleibend, denn Willi ist ja, wie wir wissen, brav, er schreibt schön und ist brav. Und dies nun ein ganzes Jahr lang. Wobei er immer wieder auch mit dem Verfasser in Kontakt tritt bzw sich der Verfasser in den Text offensichtlich einmischt, nicht immer derselben Meinung wie Willi ist, aber sie raufen sich zusammen, die zwei.

 

 

 

GEGENWARTSLITERATUR 2496

 

Willi in O.

 

Manchmal muss man ein Buch wegen seiner Gattungsbezeichnung lesen. Wie wirkt sich wohl eine Erfrischung auf den lesenden Körper aus? Springt sie gleich in den Kopf und erhellt alles? Macht sie die Beine frisch, als ob man gewandert wäre? Kommt die Erfrischung überhaupt aus dem Buch heraus, oder muss sie dort warten, bis im Regal die Jahrhunderte vergangen sind?

 

Rudolf Lasselsberger ist mittlerweile untrennbar mit seinem Willi verbunden. Vor beinahe zehn Jahren hat er während einer Eisenbahnfahrt spontan Kontakt zu ihm aufgenommen, seither fährt er mit ihm auf Kur, kommentiert mit ihm die engere Zeitgeschichte und die Auswirkungen der großen Kapitalschieflage auf das Prekariat. Willi ist ein Spiegelbild des Autors, ein ausgegliedertes Ich, oft auch nur eine voluminöse Hülle, die den Lust-Teil des Lebens übernimmt, während sich der Autor um die intellektuellen Angelegenheiten kümmern muss.

 

Die neue Episode „Willi in O.“ ist angeblich der Schlussteil der Williade, weil Willi wie im ersten Band wieder auf Kur fährt und dabei das Leben abrundet wie ein Omega. Dazwischen harren noch dutzende Notizbücher über den „Willismus“ ihrer Veröffentlichung.

 

Willi in O. spielt im Jahre 2009, die Beisl-Szene funktioniert routiniert, die Biere fließen wie von selbst in die dafür vorgesehenen Kehlen, der Zeitgeist kommt in Gestalt von Wirtshausgesprächen persönlich an den Tisch. Dann Schnitt, Willi tritt eine Kur an. Dieses O. kann Oberösterreich heißen, in Ordnung, oder auch „Oasch“. Ab jetzt gibt es nämlich nichts mehr zu essen und zu trinken, wenn man etwas will, wird einem gleich eine Ernährungstabelle vorgelegt.

 

Der Erzähler schiebt für das Ungemach seinen Willi vor. Dieser muss sich durch die Turnübungen, Wanderungen und Diäten kämpfen, an guten Tagen isst er alles zusammen, was die anderen am Tisch entbehren können. Die Welt hat über Nacht ein eigenes Vokabular bekommen, Wanderstöcke, Säfte, Blutdruck. Dazwischen am Flachbildschirm flache Programme, während man im Zimmer flachliegt.

 

Manchmal lässt der Erzähler seinen Willi liegen und flüchtet ins Notizbuch. „Alles wird gut, wenn er schön schreiben tut!“ (57) Da wacht Willi wieder auf und verlangt eine Zeichnung oder wenigstens eine gezeichnete Zierleiste.

 

Sportliche Ereignisse, ein Fußballer, der nach dem Debüt zum Arzt muss, der Gebrauchszettel für einen Regenschirm, eine Sondermarke mit Fred Zinnemann, Therapiepläne, ein ÖBB-Fahrschein nach Krems – alles wird ins Notizbuch geklebt und hinten in einem Register angeführt. „Duschen, mit Koffer in der Lobby, Willi zeigt den Stinkefinger, wir grinsen uns an.“

 

Rudolf Lasselsberger gelingt mit seinem aufgespaltenen Heldenpaar ein Geniestreich der Erzählkunst und tatsächlich eine Erfrischung. Der schizophrene Monolog geht manchmal knapp an der Psychiatrie-Kante spazieren, dann fällt das Duo wieder in ein homogenes Wesen zusammen und lässt die Welt zerborsten zurück. In jeder Zeile spiegelt sich der Lebenssinn, von Therapie zu Therapie, von Essen zu Essen, von Fernsehen zu Fernsehen. Und der I-Tupfen dabei: Schön schreiben, dann wird alles gut! – Letztlich genial optimistisch!

 

 

 

Rudolf Lasselsberger: Willi in O. Eine Erfrischung.

 

Linz: Resistenz 2016. 69 Seiten. EUR 14,90. ISBN 978-3-85285-295-9.

 

Rudolf Lasselsberger, geb. 1956 in Schlatten 8, lebt in Wien.

 

Helmuth Schönauer 10/05/16

 

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